Konflikt unter Aposteln

Besinnung zu Galater 2, 9-14

Von Alexandra Dierks am 31. August 2022


Als aber Kephas nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht. Für mich ist das einer der besten Sätze im Neuen Testament. Denn hier zeigt sich zum einen große Vertrautheit und zugleich zeigt sich eine furchtlose Konfliktbereitschaft. Hier sehen wir etwas davon, wie Streiten unter Christen gehen kann.

Die Vertrautheit hören wir mit im Namen Kephas. Kephas, so hat Jesus den Fischer Simon genannt, einen seiner ersten und vertrautesten Jünger. Kephas, das ist der zärtliche Freundschaftsname direkt aus dem Munde Jesu. Eigentlich heißt er nach wie vor Simon, aber unter Christen kennt man ihn nur noch mit dem Namen, den Jesus ihm gegeben hat. Kephas.

Kephas, so durfte auch Paulus ihn nennen. Fünfzehn Tage lang hatte Paulus relativ kurz nach seiner Bekehrung bei Simon in Jerusalem gewohnt. Man lernt sich sehr gut kennen, wenn man zwei Wochen lang miteinander im selben Haushalt lebt, miteinander redet, isst, betet, diskutiert, den Gottesdienst besucht. Beide haben die umwerfende Erfahrung gemacht, dass ihnen Jesus als der Auferstandene begegnet ist. Beide haben Jesus nach seiner Auferstehung gesehen. Beide sind berufen, den Glauben an Jesus zu verbreiten. Das verbindet.

Als aber Kephas nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, weil er im Unrecht war. Paulus streitet mit Petrus. Der Sachgrund für den Streit zwischen Paulus und Petrus ist die Frage, wie mit denen umzugehen sei, die nicht aus dem Judentum zum Glauben an Christus kommen, sondern aus dem heidnischen Hellenismus. Sind sie den Juden gleichwertig? Gelten sie immer noch als Heiden? Sollten sie beschnitten werden? Müssen sie das jüdische Gesetz halten, Sabbat, Reinheitsgebote, Speisegebote? Wenn nicht – dürfen die jüdischen Christen dann mit ihnen an einem Tisch sitzen? Über alle diese Fragen herrscht in der gerade entstehenden christlichen Gemeinde noch keine Einigkeit, denn in seinen ersten Anfängen ist das Christentum eine Spezialform des Judentums. Für diese ersten Christen ist es eine große Herausforderung, Menschen aus heidnischen Kulturkreisen zu integrieren.

Theologisch ist die Sache für Paulus sonnenklar: Die Taufe macht uns zu Christen, nicht die Beschneidung; der Glaube an Christus macht uns gerecht, nicht das jüdische Gesetz; in der neuen Gemeinschaft der Heiligen ist es egal, ob man Grieche oder Jude ist, Sklave oder frei geboren, Frau oder Mann. Alles gleich viel wert, alles unwichtig vor Gott, wenn wir zu Christus gehören.

Wie gesagt, theologisch sonnenklar. Und im Prinzip sogar abgesegnet von der Gemeinde in Jerusalem. Aber in der Lebenswelt nicht so einfach. Wenn man als Jude ein Leben lang Distanz gehalten hat zu allem Heidnischen, dann streift man das nicht so einfach ab. Wenn man mit Jesus alle jüdischen Feste gefeiert hat, wenn man mit ihm unzählige Male in der Synagoge und im Tempel gewesen ist, dann findet man es keineswegs so logisch und naheliegend, dass Fremde da plötzlich mitspielen dürfen, die von alldem gar keine Ahnung haben. Dann ist „theologisch sonnenklar“ vielleicht kein wirklich entscheidendes Kriterium. Dann sind andere Dinge handlungsleitend. Zumal es einflussreiche Leute bei den Christen in Jerusalem gibt, die sich nach wie vor als Juden verstehen und auch Juden bleiben wollen. Zum Teil sind es sogar unmittelbare Verwandte Jesu, sein Bruder Jakobus z.B., die großen Einfluss in der Jerusalemer Gemeinde haben. Das hat Gewicht. Und deshalb streiten sich Paulus und Petrus so heftig.

Wir sehen, dass so etwas wie Herkunft, Bildung, Kultur, Prägungen, Instinkte, Reflexe, dass all diese Dinge schon ganz am Anfang in der Kirche ein Faktor waren. Mitunter ein Störfaktor. So wie bei uns gelegentlich auch. Wenn wir sie außer acht lassen, wenn wir nicht mit ihnen rechnen, dann werden sie uns überraschen. Aber sie sollten auch nicht wichtiger genommen werden als das, was wir als theologisch richtig erkennen.
Wir lernen aber auch etwas über christliche Streitkultur. Wenn wir uns heftig streiten, ob in der Familie, im Beruf, in der Partnerschaft oder auch unter uns hier im Ordo Pacis, dann geht es immer um Dinge, die uns wichtig sind. Über Unwichtiges streitet man nicht, das kann man hingehen lassen. Wenn wir heftig streiten, dann geht es um etwas, das uns in unserem Sein berührt, das geradezu weh tun kann, so wichtig ist es uns. Das ist nicht immer gleich zu erkennen, speziell, wenn es scheinbar um Sachthemen geht. Aber oft verbirgt sich das eigentliche Thema hinter einem Sachthema. Oft sind es Beziehungsfragen: Darf ich so sein, wie ich bin? Werde ich respektiert? Werde ich geliebt? Bin ich sicher? Bin ich anerkannt? Gehöre ich dazu? Habe ich Freiheit?

Vielleicht haben die Konflikte, die es in allen geistlichen Gemeinschaften und natürlich auch im Ordo Pacis immer wieder gibt, ebenfalls damit zu tun. Hinter den sachlichen Streitpunkten stehen vielleicht Fragen wie: Ist das noch meine Gemeinschaft? Habe ich hier noch einen Platz? Hat meine Weise zu glauben und zu beten und zu denken und zu reden und zu sein hier Raum und Anerkennung? Werde ich gehört? Oder muss ich mir immer erst mühsam Gehör verschaffen?

Paulus trägt den Streit offen aus. Paulus ist an dieser Stelle echt ein Vorbild; er ist komplett furchtlos und geht keiner Auseinandersetzung aus dem Wege, wenn er sie für erforderlich hält. Er legt sich sogar mit Petrus an.
Aber er spricht seinen Gegner mit dem zärtlichen Freundschaftsnamen an, den dieser Gegner von Jesus bekommen hat. Das ist ein starkes Signal. Es sagt: Was uns verbindet, ist tiefer als jeder theologische Dissens. Was dich mit unserem gemeinsamen Herrn verbindet, ist tiefer als jeder theologische Dissens. Du bist von Jesus geliebt. Das sehe ich und erkenne es an.

Wie würden wir streiten, wenn wir die jeweils andere so ansprechen könnten: Du bist von unserem Herrn geliebt und erwählt und berufen, das weiß ich. Ich auch, dessen bin ich mir genau so sicher. Und einander dann trotzdem ins Angesicht widerstehen, wenn wir finden, die andere hat Unrecht, und Widerspruch muss jetzt sein. Vielleicht könnten wir dann tatsächlich um Sachen und Dinge streiten, und müssten nicht mehr kämpfen um unseren Platz am Herzen Jesu und in dieser Gemeinschaft. Vielleicht könnten wir dann sogar richtig heftig streiten um Sachen und Dinge, und müssten es nicht so verdruckst tun, weil wir eben nicht mehr um unseren Platz kämpfen müssten. Weil wir den hätten. Weil Jesus uns angesprochen hat mit einem zärtlichen Namen, und die andere uns auch so anspricht. Vielleicht könnten wir dann heftig streiten und uns genauso stark versöhnen. Voller Vertrauen, dass uns der gemeinsame Boden trägt, dass jede gehört wird, und dass jede ihren Platz hat. Amen.

Alexandra Dierks
Begleitende Pastorin der Ev. Schwesternschaft Ordo Pacis

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