Eine theologische Vorbemerkung am Anfang. Es ist völlig klar, dass, wenn wir über Zugehörigkeit zu Kirche reden, wir damit in einer anderen Liga spielen als Gott, der die Herzen kennt.
Von Sr. Renate Kersten am 25. Juli 2004
Eine theologische Vorbemerkung am Anfang. Es ist völlig klar, dass, wenn wir über Zugehörigkeit zu Kirche reden, wir damit in einer anderen Liga spielen als Gott, der die Herzen kennt. In diesem Punkt ist sich die Theologie der verschiedenen Konfessionen einig. Es gibt die „eine, heilige Kirche“. Es gibt sie tatsächlich, und manchmal spüren wir etwas davon, in der tatsächlichen Kirche, ausserhalb, in unserer Schwesternschaft oder bei uns selbst. Und an anderen Stellen hat man wieder das Gefühl, wenn manden Geist irgendwo vergeblich sucht, dann in den kirchlichen Institutionen. Daraus ergab sich dann auch schon vor Jahrhunderten die Frage, wer denn zur wahren Kirche dazugehört, und wer nicht. Hier gibt es tatsächlich mal eine eindeutige theologische Antwort: Die wahre Kirche ist unsichtbar. Sie lebt im Verborgenen. Sie lebt auch in der sichtbaren Kirche, aber es klar, dass da auch viel Unheiliges lebt. Die Feststellung, wer zur wahren Kirche gehört und wer nicht, ist Gott vorbehalten. Auf dieser Ebene haben wir uns nicht einzumischen. Richten und Urteilen ist nicht unsere Sache, weder im Blick auf uns selbst noch auf andere.
Dass wir diese Urteile nicht fällen können und sollen, heißt aber nicht, dass die sichtbare Kirche in gewisser Weise egal ist. Schwesternschaft ist ja der Versuch, den Glauben tatsächlich zu leben, und auch der Versuch, innerhalb der sichtbaren Kirche immer wieder die heilige, die wahre Kirche zur Geltung zu bringen, einfach, indem wir uns selbst Christus zur Verfügung stellen.
Wie sie es mit der Kirche hält, das scheint zur Zeit jede Schwester für sich allein zu entscheiden – ich sage: scheint, denn es kann durchaus sein, dass sie es im Gespräch mit der Schwester, von der sie begleitet wird, zusammen entscheidet. Dabei ist es nicht so, dass die einzelnen nicht in ihren Gemeinden präsent wären. Aber vom Bewusstsein rangiert das eher neben dem Schwesterlichen.
Das war aus Sicht der Gründerinnen unserer Schwesternschaft und unserer Regel ganz anders. Damals gab es einen Konsens, dass man mit dem Schwestersein der Kirche dienen wollte, heilige Kirche sichtbar machen wollte. Das ging unmöglich über das Schwestersein, denn das sollte „im Verborgenen“ gelebt werden. Es ging nur im Zusammenhang mit der sichtbaren Kirche vor Ort, so gemischt es da auch zugehen mochte. Also: beten für die Kirche, für die konkreten Personen und die Anliegen, die gerade wichtig waren. Mitdenken. Mitreden. Mitarbeiten. Das Leben – und auch das Geld, so vorhanden – teilen. Im Bewusstsein war klar, dass das schwesterliche Aufgaben waren.
Inzwischen sieht das anders aus. Ich sage vorsichtig: Der Elan der Zeit damals geht uns als Gemeinschaft in Bezug auf Kirche ziemlich ab. Einzelne sind sehr engagiert, bei anderen gibt es Frust, manchmal auch Resignation und Verweigerung, es mit der Gemeinde und Kirche vor Ort zu versuchen.
Anders als damals leben wir unser Schwestersein zum Teil nicht mehr Verborgen. Wenn wir es „offen“ leben, erleben wir eine nicht unbedingt interessierte Kirche vor Ort, sondern mitunter Gleichgültigkeit oder Verständnislosigkeit.
Gemeinschaften neigen unter solchen Umständen dazu, Parallelstrukturen zu bilden. Wir feiern z.B. unseren Gottesdienst manchmal parallel zum Gottesdienst der Ortsgemeinde. Das kann seine Berechtigung haben. Es kann aber auch ein Abkapseln sein. Ob der Kirche damit viel entgeht, darüber kann man nur spekulieren. Mit Sicherheit entginge uns etwas, wenn wir uns abschotteten und damit auch zunehmend um uns selbst kreisten.
Dass wir uns nicht abkapseln und dass wir in der Kirche sind und der Kirche dienen, lässt sich nicht sicher stellen. Es ist immer wieder neu eine Herausforderung, die heilige Kirche in sichtbaren Erscheinungen zu erkennen oder zumindest nicht auszuschließen, dass sie da ist. Es ist auch eine Aufgabe, herauszufinden, wo da der eigene Platz ist. Wir müssen uns darüber verständigen, wo wir Grenzen ziehen und wo wir so etwas wie Sicherungen einbauen, die sich bemerkbar machen, wenn wir uns ausgliedern und abkapseln. Eine Sicherung soll die Begleitende Pastorin sein, die aus einer Perspektive von innerhalb der Kirche und außerhalb der Schwesternschaft aufpasst, ob wir uns abkapseln. Wir brauchen darüber hinaus das Gespräch darüber, was wir inhaltlich darunter verstehen, zur Kirche zu gehören, und in welchem Verhältnis das zu unserem Schwestersein steht.
Mit diesem Gespräch sind wir nicht bei einem besonders exotischen Thema. Man ist heute nicht mehr so selbstverständlich Mitglied einer Kirche wie in den 50er Jahren, wenn das auch regional verschieden ist. Es gibt in diesem Punkt Ost-West Unterschiede und ein starkes Nord-Süd-Gefälle. Wo es aber nicht selbstverständlich ist, zur Kirche zu gehören, da braucht man keinen guten Grund, auszutreten, sondern gute Gründe, drin zu sein und zu bleiben. Wir sind überwiegend Westschwestern, die von landeskirchlichen Verhältnissen geprägt sind. Kirchenzugehörigkeit ist da scheinbar kein Thema.
Es gibt aber zunehmend Menschen, die die Kirche finanziell oder durch Arbeit unterstützen, aber beileibe nicht eintreten wollen, und ebenso Menschen, die an Gott glauben oder ihre Ortsgemeinde wichtig finden, aber nicht eintreten wollen, z.B. weil ihnen die Institution suspekt ist. Das sind zahlenmässig nicht sehr viele. Aber im Pfarramt muss man sich schon überlegen, wie man damit umgeht. Zum Beispiel: In dem Chor meiner Pankower Gemeinde - immerhin etwas über 40 Leute - ist ein Drittel der Frauenstimmen nicht in der Kirche. Die singen natürlich in den Gottesdiensten und hören sich auch die Predigten aufmerksam an. Wenn sie wollten, hätten sie die Möglichkeit, den Taufunterricht zu besuchen, der einmal im Jahr angeboten wird. Aber die meisten haben das Gefühl: So eng ist die Verbindung nicht, vom Hobby Chorsingen und einer gewissen Sympathie führt kein direkter Weg zum Glauben. Gleichzeitig tun sie etwas für die Kirche, mehr als viele, die nur in der Kartei stehen. Ebenso die, die sich in den unzähligen Kirchenbauvereinen engagieren, weil ihnen die Gebäude wichtig sind. Und wieder andere finden das mit dem Glauben wichtig, mögen aber die Institution als Ganze nicht mittragen. Einer unserer Ostberliner Freunde überlegt, aus der Kirche auszutreten, um das Geld dann direkt dem Kindergarten der eigenen Gemeinde zu spenden. Ich ermutige die Leute immer, in die Strukturen zu gehen und die demokratischen Möglichkeiten wahrzunehmen – aber ich kann auch verstehen, dass z.B. ein Facharzt sagt: „Mitarbeit in der Synode, das pack ich zeitlich nicht – und trotzdem passt es mir nicht, wie die meine Steuer verwalten.“
Die Frage ist, wie wir als Schwestern mit der sichtbaren Kirche umgehen, die ja nicht völlig neben der unsichtbaren steht, sondern sich mit ihr überschneidet. Irgendwo in der sichtbaren ist immer auch die unsichtbare, die heilige Kirche, die Christus berufen hat und segnet und liebt. Für diese Kirche stehen wir als Schwestern – auch wenn wir gleichzeitig auf der anderen Seite stehen, auf der unvollkommenen und weltlichen. Wir sind beides selbst. Das Heilige, das, was mit Kirche gemeint ist, braucht unsere Solidarität. Und wir müssen überlegen, wie wir Solidarität mit der Kirche Christi zum Ausdruck bringen. Ob wir zum Beispiel sagen, da muss es eine konkrete Ausdrucksform geben, oder da muss jede ihrs finden, oder es gibt ein Minimum, das bei jeder von uns vorhanden sein sollte. Auch, wer das Gegenüber ist – ob das Thema „Kirche“ ins Gespräch zu zweit gehört, in den Kleinkonvent, in den großen Konvent, in den Rechenschaftsbericht - diese Klärung muss am Ende des Prozesses stehen.
Auf dem Weg zu einer Antwort erhoffe ich mir, dass Kirche wieder stärker als schwesternschaftliches Thema erkannt wird, und dass wir auch voneinander erfahren, was wir an Gutem und Frustrierendem erleben. Auch, damit wir einander beistehen können, in diesen ganz konkreten Bezügen als Schwestern zu leben.
Sr. Renate Kersten
(Leicht gekürzte Fassung eines Impulses für die Tage gemeinsamen Lebens 2004)