Unser Auftrag

Identität und Auftrag des Ordo Pacis – eine Provokation

Von Katharina Wiefel-Jenner am 3. Mai 2003

Betrachtet man die zurückliegenden Jahrzehnte und die Themen, die den Ordo Pacis beschäftigt haben, fällt auf, in welcher ausgeprägten Weise der Ordo Pacis nach geistlichen Antworten auf die (durchaus weltlichen) Fragestellungen der Zeit gesucht hat. Die Gründungsschwestern wählten den lateinischen Namen Ordo Pacis - nicht Friedensschwesternschaft o. ä. In den frühen 50er Jahren, als der 2. Weltkrieg noch gegenwärtig war und der kalte Krieg „tobte“, war gerade das Wort Friede ein politisch hoch aggressiver Begriff. Wer ihn nutzte, musste damit rechnen, für politische Zwecke benutzt zu werden. Gleichwohl haben sich die Gründungsschwestern nicht davon abbringen lassen, den biblischen Begriff des Friedens – den Frieden Christi – zum Leitbild ihres geistlichen Lebens zu wählen. Ähnlich klug war der Beschluss der Gründungsschwestern, „zwei gleichwertige Gruppen von Schwestern“ zusammenzuschließen. Der Krieg hatte nicht nur äußerliche Verwüstungen hinterlassen. Auch die äußeren familiären Lebensformen waren zerstört. Eine Vielzahl von Lebensformen war geradezu selbstverständlich geworden, auch wenn die restaurativen 50er Jahre das nicht gutheißen konnten. Ausgerechnet in dieser Zeit schließen sich die Schwestern im Ordo Pacis zusammen, ganz gleich aus welchen Lebensumständen die einzelnen kamen. Die Bindung an die gemeinsame Berufung macht zwar die je einzelne Lebensform nicht irrelevant, aber die Berufung erscheint als Basis, auf der Ehe, Ehelosigkeit, gemeinsames Leben, kommunitäres Leben, aber auch Scheidung etc. aufbauen.

In den 60er Jahren kann man eine Akzentverlagerung feststellen. Die Urkunde von 1953 nennt den Frieden Christi am Anfang: „Sie suchen, dem Frieden Christi Raum zu schaffen in dieser Welt des Unfriedens.“ Nachdem der äußere Friede mit dem kalten Krieg „gesichert“ wurde, schien es wichtiger zu werden, die Innenseite des Friedens Christi – man könnte auch sagen die „Methodik“ des Friedens Christi - nach außen zu wenden. 20 Jahre später stellt die Regel im Gegensatz zur Urkunde das Gebet und die spirituelle Grundhaltung einer vita christiania in den Vordergrund. Die Regel rückt das Gebet in den Mittelpunkt gerade in einer Zeit, in der die Selbstverständlichkeit des christlichen Betens schwindet. Der Ordo Pacis hatte mit der Konzentration auf das Gebet um den Frieden Christi eine geistliche Weise gefunden, die den gesamtgesellschaftlichen Neigungen zum Pazifismus einerseits entsprach, andererseits verfügte sie aber auch mit dem Gebet über eine tragfähige Basis, die auch angesichts der Frustration über das eigene Versagen in der Friedensbewegung und angesichts der Vergeblichkeit von politischen Aktionen davor schützt, das Thema Frieden von der Tagesordnung zu nehmen und die eigene Überzeugung leichtfertig hinter sich zu lassen.

Welche Fragen fordern nun heute den Ordo Pacis heraus? In den vergangenen Jahren geschah eine Annäherung an mögliche Antworten unter den Stichworten „Identität und Auftrag“. Zum Auftrag gehört die Identität. Der Ordo Pacis benennt zunächst die eigene Identität, um erst im zweiten Schritt seinen Auftrag zu skizzieren. Denkt man also über die Fragen nach, die heute den Ordo Pacis herausfordern, dann bilden zwei Dinge den Ausgangspunkt: Die Erfahrung, in den letzten 50 Jahre an den Fragen der Zeit geistlich gearbeitet zu haben und das Bewusstsein für die eigene, besondere Identität.

Was ist nun Identität?

Zunächst entsteht beim Nachdenken über Identität die Frage, wie sich Identität überhaupt bildet. Identität entwickelt sich aus dem Dialog. Wort und Antwort, erneute Anrede und erneute Reaktion, der Dialog formt die Identität.

Für sich bringt der Identitätsbegriff auf den Punkt, was am Ende des jugendlichen Reifungsprozesses stehen soll. Am Ende der Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen steht die eigene Identität als Ziel.

Dennoch haben Menschen in unserer westlichen Zivilisation in der Regel nicht mehr die eine Identität. Die verschiedenen Lebensbereiche, in denen ich agiere, formen je verschiedene Anteile meines Ichs. Es gibt nur noch eine Art Identitätskern. Die verschiedenen Ausformungen meiner Persönlichkeit zeigen erst die Vielfalt meiner Möglichkeiten. Kurz gesagt: Die Person verfügt über ein Ich/eine Identität mit vielfältigen Identitätsmöglichkeiten oder Teilidentitäten. Die Vielfalt der personalen Möglichkeiten befinden sich in einem permanenten Prozess der Entwicklung.

Man könnte das also so zusammenfassen: Den Identitätsbegriff zeichnen u.a. zwei Merkmale aus:

  1. Identität entwickelt sich im Dialog.
  2. Identität gilt als Besitz und ist Eigentum der Person, das nach einem Prozess erworben wurde und in Teilformen wechselnd in Anspruch genommen wird.

Wenn sich Identität zum einem erst im Dialog entwickeln kann, dann braucht sie ein anderes Ich, um den Dialog zu führen. Sie braucht einen Rahmen und einen Raum, in dem Identitätsbildungsprozeß und damit den Dialog zur Entwicklung von Identität geschützt sind.

Und wenn zum anderen die Identität nun nicht sich dauernd selbst gleich sein kann, benötigt sie ein Ich, das größer ist, als es selbst, um die verschiedenen Facetten und Anteile des Selbst dauerhaft zusammenzuhalten. Auch diesem Bedürfnis dienen Institutionen.

Die Umkehrung der Reihenfolge: Auftrag und Identität

Kehren wir nach der Klärung der Definition von Identität zur Ausgangsfrage zurück. Wie steht es heute um Identität und Auftrag des Ordo Pacis.

In der Frage der Identität steckt der Schlüssel für den Auftrag des Ordo Pacis. In einer Zeit, in der Institutionen an Bedeutung verlieren und damit auch ihre identitätsstützende Aufgabe nicht mehr wahrnehmen können, hat der Ordo Pacis den Auftrag, geistliche Identität zu schützen.

Dazu zwei Thesen:

1. Der Ordo Pacis ist eine Institution, die geistliche Identität schützt.

Wir hatten festgestellt, dass Identität sich im Dialog entwickelt. Geistliche Identität erwächst dem entsprechend aus dem geistlichen Dialog, also aus dem, was wir schlicht Gebet nennen. Der Ordo Pacis ist eine Institution, die das Gebet und den geistlichen Dialog schützt. Unter geistlichen Dialog ist sowohl das Gebet, als auch der Austausch über das Gebet und die Erfahrungen mit dem Beten gemeint.

2. Der Ordo Pacis ist eine Institution, die den Menschen als Eigentum Gottes versteht.

Die zentrale Überzeugung des Ordo Pacis, die konstitutiv für Liturgie, Regel und Gestalt der Schwesternschaft ist, dreht gewissermaßen das gängige Identitätskonzept um. Der Gedanke der Hingabe bestimmt die Identität der Ordo Pacis Schwester. Die Hingabe legt Wert darauf, dass der Mensch nicht Eigentum seiner selbst ist, sondern Eigentum Gottes. Leib, Seele und Geist gehören ihm. Gott verfügt über unser Leben, unser Leben ist in Gottes Hand und gehört ihm allein. Mit seiner zentralen Erkenntnis, dass der Mensch Gottes Eigentum ist, schützt der Ordo Pacis als Institution also das biblische Menschenbild gegen ein Menschenbild, in dem der Mensch dem Menschen gehört und ihm als Eigentum ausgeliefert ist.

Die Doppelthese weist damit darauf hin: Es muss dem Ordo Pacis darum gehen, die Identität des Menschen als Gottes Eigentum zu schützen und sich selbst als Raum zur Verfügung zu stellen, in dem sich diese Identität entwickeln kann.

Der Ordo Pacis ist eine Provokation

Aus die Doppelthese folgt nun eine weitere:

Es ist der Auftrag des Ordo Pacis, zu provozieren.

Der Ordo Pacis steht einem dreifachen Gegenüber, bei dem er seine Provokation entfalten muss:

  1. die Kirche,
  2. die Gesellschaft,
  3. das eigene Leben.

Die Erinnerung an den Flügelschlag des Engels

Der Ordo Pacis muss eine Provokation für die Kirche sein. Gegenüber der Kirche muss der Ordo Pacis den „Flügelschlag des Engels“ in Erinnerung rufen.

Die Anfänge des Ordo Pacis waren mit Mariä Verkündigung verbunden. In der Verkündigungsszene erfüllt der Flügelschlag des Engels den Raum.

Hören - Erschrecken über die Schönheit und Heiligkeit Gott, und seiner Botschaft zu begegnen - Antworten und Fragen - erneutes Hören - Einwilligen – diese Schritte vollzieht Maria, als sie den Flügelschlag des Engels vernimmt.

Wenn der Ordo Pacis sich an Maria orientiert, dann ist dies zugleich eine Provokation für die Kirche. Der Ordo Pacis hat also den Auftrag, die Haltung Marias in der Kirche wach zu halten. Weil in unserer Kirche die Haltung Marias immer wieder bewusst hervorgelockt werden muss, ist bereits der Anspruch des Ordo Pacis eine Provokation. Unsere Kirche braucht es, dass sie gerade in der jetzigen Zeit an das Hören erinnert wird, und an das Erschrecken über die Schönheit und Heiligkeit Gottes und seiner Botschaft – an das Antworten auf Gottes Wort, das Fragen nach Gottes Wort und schließlich an das Einwilligen in Gottes Botschaft. Unsere Kirche braucht den geistlichen Dialog, und sie muss daran erinnert werden, dass sie ihn braucht. Unsere Kirche ist oft genug schwerhörig, wenn der „Flügelschlag des Engels“ zu hören ist. Sie braucht es, dass sie jemand auf den Flügelschlag des Engels aufmerksam macht.

Die Erinnerung an die Unverfügbarkeit des Lebens

Der Ordo Pacis muss eine Provokation für die Gesellschaft sein. Gegenüber der Gesellschaft muss der Ordo Pacis die Unverfügbarkeit des Lebens und die Herrschaft Gottes über das Leben in Erinnerung rufen.

Kaum ein Thema wird momentan von aufmerksamen NaturwissenschaftlerInnen und GeisteswissenschaftlerInnen, von Juristen und MedizinerInnen so heftig und kontrovers diskutiert, wie die Frage nach der Patentierung von Leben und nach den Folgen der biotechnischen Revolution. In diesen Forschungen wird der Wunsch des Menschen verfolgt, zu sein wie Gott. Auf dem Hintergrund dieser Entwicklung ist die tägliche Hingabe Provokation in purer Form. Die zentrale theologische Aussage des Ordo Pacis ist von einer kaum zu überbietenden Aktualität. Gottes Werke stehen im Zentrum, nicht die des Menschen. Mit der Hingabe überantworten wir Gott unser Leben und stellen das eigene Leben mit Leib, Seele und Geist Gott zur Verfügung. Wenn es aber Gott zur Verfügung steht, kann es nicht zugleich menschliches Eigentum sein. Es kann und darf dann nicht patentiert werden und als Eigentum für Geld verkauft werden. Was Gott zur Verfügung steht, ist keine Ware und wird es auch niemals. Jedes Hingabegebet ist damit der Widerspruch zum menschlichen Wunsch, über das Leben verfügen zu wollen. Jedes Hingabegebet provoziert den Widerspruch zum gegenwärtigen Jubel über die Fortschritte der Technik. Jedes Rückgabegebet enthält ein gutes Stück an Protest gegen den menschlichen Grössenwahn.

Sicherlich dringt unser Gebet aus dem Geist der Hingabe nicht an die Öffentlichkeit. Die Provokation, die der Geist der Hingabe gegenüber der Gesellschaft beinhaltet, ist ohne plakative Wirkung. Gleichwohl, mit jedem Hingabe- und Rückgabegebet entziehen wir der Gesellschaft an einer kleinen Stelle den Boden für ihre Grundüberzeugung, als Mensch Herr über die Welt zu sein. Je deutlicher der Ordo Pacis also die Hingabe lebt, desto provozierender wird er wirken.

Spielen für das Himmelreich

Der Ordo Pacis muss eine Provokation für uns selbst sein. In unserem eigenen Leben muss der Ordo Pacis den Raum schaffen für den Frieden Christi und das Gebet, so dass beides bei uns herausgelockt und hervorgebracht, eben provoziert werden.

Der Friede Christi und das Gebet um ihn sind auf mehrfache Weise eine Provokation für unser Leben. Das Gebet um den Frieden Christi provoziert aber auch deshalb, weil es mitten in unserer unruhigen und friedlosen Zeit ein Stück des Himmelreichs aufblitzen lässt. So ist das Gebet um den Frieden Christi eine Provokation, weil es stört und weil es den Frieden Christi selbst schon hervorlockt.

Wir waren von der Identität des Ordo Pacis ausgegangen. Das, was Entwicklung fördert, hilft auch Identität zu bilden. Kinder entwickeln sich durch ihr Spielen. Wer Kinder beim Spielen beobachtet, merkt, dass Spielen für Kinder harte Arbeit ist. Kinder lernen im Spiel das, was sie an Fertigkeiten für das Leben brauchen.

Betrachten wir den Ordo Pacis als Spielfeld für das Himmelreich, dann mag der Begriff Spielfeld zunächst Geringschätzung nahe legen. Bei genauerer Betrachtung benennt er aber nur die Provokation, die sich der Ordo Pacis selbst zumuten sollte, um seiner Berufung gerecht zu werden. Das, was der Ordo Pacis tut, verfolgt scheinbar keine effektiven Ziele. Wie die Kinder im Spiel lernen, so übt sich der Ordo Pacis mit seinem Beten und Handeln in den Frieden Christi ein. Der Ordo Pacis „spielt“ für das Himmelreich, er übt voller Ernsthaftigkeit das Leben aus dem Frieden Christi, übt im Gebet die Sprache des Himmels und übt im schwesterlichen Miteinander die himmlische Gemeinschaft. Kinder spielen und beim Spiel gelingt auch längst nicht alles, aber deswegen ist es ja auch Spiel. Zugegeben, unser Beten, Reden und Handeln, die Gemeinschaft im Essen und im Mahl als Spiel und als Übung für das Himmelreich zu betrachten, ist eine Provokation. Aber nur eine Provokation lockt das heraus, was sonst nicht wahrgenommen wird: Dass Jesus Christus sein Reich mitten in unserer Welt aufrichtet und sich in uns und durch uns Raum in dieser Welt schaffen will.

Drei Provokationen, drei Aufgabenfelder, drei Schwerpunkte. Wenn der Ordo Pacis sich dessen bewusst ist, welche Provokation er darstellt, dann muss uns für die nächsten 50 Jahre seines Bestehens nicht bange sein. Seine Provokation bleibt bis der Friede Christi alles in allem erfüllt.

Katharina Wiefel-Jenner
(begleitende Pastorin bis 2009)

Volltextsuche